Man betritt das Museum und neben den Gemälden schweben Informationen zu Künstler und Entstehungszeit. „Okay Google. Wo gibt es weitere Gemälde von diesem Künstler?“, fragt man und wie zur Antwort erscheinen Pfeile auf dem Boden und weisen den Weg. Wem diese Vorstellung noch zu unspektakulär ist, der stelle sich vor, er stünde im Wallraf-Richartz-Museum vor einem Rembrandt-Gemälde und der Maler tauche auf einmal leibhaftig auf und erzähle, was während der Entstehung des Gemäldes passierte.
Keine technischen Barrieren zwischen Kunst und Betrachter
Augmented Reality im Museum könnte durch die Google-Innovation Google Glasses auf eine neue Ebene gehoben werden. Denn mobile Anwendungen, die die virtuelle in die reale Welt projizieren, gibt es schon einige. Jedoch kann man sie „nur“ über sein Smartphone oder ein Tablet erleben. Eine Barriere besteht also noch, denn des Smartphones ist man sich während der visuellen Eindrücke stets bewusst. Was wäre, wenn sich das Ganze abspielt, ohne dass man das Übertragungsmedium bemerkt? Google-Glass-Entwickler Timothy Jordan beschreibt die Idee von Google Glass: „By bringing technology closer, we can get it more out of the way.“
Wie funktioniert Google Glass?
Die Datenbrille von Google soll frühestens Ende des Jahres auf den Markt kommen, wie Stefan Keuchel, Pressesprecher von Google Deutschland ankündigt. „Sie ist wie ein Smartphone, das man auf der Nase trägt“, erklärt er. Doch Google Glass funktioniert anders als ein Smartphone. Wie bei einer Brille gibt es ein Gestell, das der Nutzer auf der Nase trägt. Jedoch hat die Datenbrille keine Gläser, sondern nur ein kleines Prisma auf der rechten Seite, das einen Teil des Blickfeldes überlagert. Im rechten Bügel verbirgt sich die Technik der Brille. Am Prisma schließt der Projektor an, der Bilder über das Prisma direkt auf die Netzhaut des Nutzers projiziert.
Am Bügel befindet sich außerdem die Bedienung. Durch Antippen und Darüberstreichen kann man Google Glass steuern und über die Stimme Befehle erteilen, nachdem das Gerät durch die Ansprache „Okay Google“ die Sprachsteuerung aktiviert hat. Neben einem GPS-System befinden sich ein Mikrophon, ein Lautsprecher und eine Kamera im Gerät. Durch diese Kamera kann Google Glass Informationen der realen Welt aufnehmen und dadurch virtuelle Informationen direkt vor das Auge des Nutzers bringen.
Plötzlich kennt man Fremde mit nur einem Blick
Wie bei jeder technischen Innovation wird auch Google Glass ambivalent diskutiert. Die Skepsis reicht von Datenschutz über Gefahren im Straßenverkehr bis hin zur Manipulation durch den vorstellbaren unmittelbareren Zugriff auf das Gehirn der Menschen. Doch das sei normal, wenn etwas Neues auf den Markt komme, meint Keuchel. Google Glass sei die Weiterentwicklung des Smartphones – man könne sich selbst entscheiden, wann man die Brille trage und sie jederzeit absetzen.
Doch man kann nicht selbst entscheiden, mit wem man zusammen in der Bahn sitzt, wem man auf der Straße begegnet und neben wem man im Museum steht. Denn durch die Technologie der Datenbrille wird es möglich sein, Fotos von seinem Gegenüber zu schießen und Gespräche mitzuschneiden, ohne dass dies bemerkt wird. Es gibt schon eine Zusatzsoftware, die Personen an ihrer Kleidung erkennt. Bald wird sicher auch die Gesichtserkennung möglich sein. Wollen wir, dass potenziell jeder Fremde mit einem Blick durch Google Glass erfahren kann, wie wir heißen, wo wir arbeiten, auf welchen Shopping-Portalen wir uns bewegen? Wohl kaum. Dave Meinert, Inhaber einer Bar in Seattle, ist der erste, der sich gegen Google Glass aussprach und das dafür entworfene Verbotsschild in seinem Lokal anbrachte, denn die Privatsphäre seiner Kunden ist ihm wichtig. Auch T-Shirts mit dem Anti-Google-Glass-Slogan „Stop the Cyborgs“ kann man sich bestellen.
Museen sollten sich dieser Kritikpunkte bewusst sein, falls sie Google Glass für ihr Haus nutzen wollen. Wie weit wird es möglich sein, die Technologie einzuschränken, damit die Privatsphäre der Besucher geschützt ist? Eine Möglichkeit könnten Störsender sein, welche die Funktionen der Kamera und des Mikrophons einschränken.
Neue Chancen für die Kunstvermittlung
Doch für Kunstvermittlung entstehen durch die Technologie der Datenbrille durchaus neue Chancen, das Publikum stärker für Kunst zu begeistern. Sie wäre die logische Fortsetzung der immer stärkeren Nutzung von Augmented Reality. Im Royal Ontario Museum in Toronto zum Beispiel wurden für eine Dinosaurier-Ausstellung die Giganten auf dem Smartphone Display in die Gegenwart geholt – mit Google Glass wäre das Erlebnis noch unmittelbarer gewesen. Das gleiche gilt für die 3D-Architekturmodelle von historischen Bauten, die nicht mehr existieren und Gebäuden, die noch in Planung sind. Diese brachte das Netherlands Architecture Institute in Rotterdam mittels App direkt in den Stadtraum. Die Datenbrille würde an diesen Orten Architektur-Modelle vor das Auge des Nutzers setzten, sodass er die reale und virtuelle Wirklichkeit gleichzeitig sieht. Jedes bestehende Augmented Reality-Projekt könnte auf diese Weise eine neue Unmittelbarkeit erfahren.
Museumsbesuch mit Google Glass
Nehmen wir einmal an, ich würde diese Brille tragen. Im Kölner Ludwig Museum zum Beispiel. Wie sähe mein Museumsbesuch aus? Er wäre wahrscheinlich spontan. Denn bei meinem Weg durch die Stadt hätte mich der Museumsdienst Köln via Facebook darauf aufmerksam gemacht, dass das Museum Ludwig heute freien Eintritt verspricht. Prima. Die Ausstellung von Hockney wollte ich ohnehin noch sehen. „Okay Google: Mit welcher Bahn komme ich am schnellsten zum Hauptbahnhof?“
Am Museum angelangt betrete ich gespannt die Ausstellung. Ich weiß noch nicht viel über Hockney, aber ich habe gehört, er hat vor der Landschaftsmalerei völlig andere Themen in seiner Kunst behandelt. Während ich vor „Winter Timber“ stehe, zeigt mir Glass, wie er früher gemalt hat. Ich sehe das berühmte „A Bigger Slash“ von 1967 vor meinem Auge und bin überrascht, welchen Wechsel er in seiner Malweise vollzogen hat. Im nächsten Raum stehe ich vor den riesigen iPad-Zeichnungen. Wie die wohl entstanden sind? Ich blicke auf die digitalen Pinselstriche und die Datenbrille lässt den Malprozess vor meinem Auge noch einmal ablaufen, Linie für Linie kann ich verfolgen, wie Hockney die Landschaft malte.
„Okay Google, teile Ausstellung auf Facebook und Twitter.“ Einige Minuten später sehe ich die ersten Nachrichten von meinen Freunden. „Schau dir unbedingt auch ‚Arrival of Spring‘ an, das ist beeindruckend“, schreibt Laura. Zufrieden schlendere ich durch die Ausstellung und genieße die Ruhe, da tippt mich auf einmal jemand auf die Schulter. „Hey, mein Glass hat gesagt, du bist hier in der Nähe, da dachte ich, ich schaue mal vorbei und wir gucken gemeinsam Bilder“, begrüßt mich eine Studienkollegin. Eigentlich wäre ich lieber alleine geblieben.
Bildrechte: Max Braun (Flickr)
If I had Glass – Rückblick auf die umfassende Blog-Parade | WE wear SMART wear
12. Mai 2013 @ 14:50
[…] Quelle: Lisa […]
Newsletter 15. Mai 2013 | kulturimweb.net
15. Mai 2013 @ 11:01
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