Christiane Lange, Direktorin der Staatsgalerie Stuttgart, hatte mit ihrem Interview in der FAZ vom 10. Oktober 2015 für viel Gesprächsstoff gesorgt. Ihre Forderung nach einem Umdenken in Museen, um nicht Opfer des kapitalistischen Traums vom grenzenlosen Wachstum zu werden, und ihr warnender Finger vor einer „Geld-Besucherzahlen-Falle“ war deswegen auch Ausgangspunkt eines Symposions in ihrem Haus. Am 26. und 27. November kamen mehrere hundert Menschen, viele von ihnen in leitenden Positionen von Museen, in der Staatsgalerie zusammen, um kontrovers über Grenzen des Wachstums zu debattieren.
Worum geht es?
Den Auftakt übernahm die Direktorin selbst. Sie skizzierte eine recht klare Problemlage, die durch einen Vergleich mit dem Museumsbetrieb von 1990 deutlich wurde. Denn in den letzten 25 Jahren sind bundesweit etwa 30% neue Museen, Ausstellungshäuser und Kultureinrichtungen entstanden. Die Kulturetats sind ebenfalls gewachsen, allerdings „nur“ um 20%, so dass unterm Strich für jedes Haus weniger bleibt.
Durch die neuen Häuser sind Konkurrenzsituationen entstanden, nicht nur bei der Neuaufteilung des Haushalts. Denn jede Einrichtung muss nun größere Anstrengungen auf sich nehmen, um in der Museumslandschaft durch meist teure Sonderausstellungen oder ausgefallene Events ein Angebot zu schaffen, das mindestens gleichbleibende Besucherzahlen generiert.
Aber bereits die Tatsache, dass so viele Museen überhaupt Sonderausstellungen anbieten, ist ein Novum jüngerer Jahre. Dauerausstellungen scheinen langweilig geworden zu sein und gehen in Anbetracht des spektakulären Angebots anderer Häuser schnell unter.
Zunehmende Kosten gibt es aber nicht nur bei Events, sondern auch im regulären Museumsbetrieb aufgrund immer größer werdender Gebäude und Ausstellungsflächen, wachsender Sammlungen und Depots, absurder Kunstpreise etc. Hinzu kommen steigende Personalkosten, die in den Etats nicht immer berücksichtigt werden, und neue Aufgaben in Museen, wie Öffentlichkeitsarbeit, Museumspädagogik oder Marketing. Diese sind aber nicht zuletzt auch durch die Politik der Wechselausstellungen selbst entstanden.
Wie können Auswege aus dieser Situation aussehen?
Christiane Lange wollte eine Debatte anregen, und das ist ihr mit diesem Symposion gelungen. So vielschichtig die Problemlage ist, so unterschiedlich waren aber auch die vorgetragenen Lösungsansätze.
Bemerkenswert war insbesondere der zweite Vortrag von Theresia Bauer, Baden-Württembergische Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst, mit einem mutigen Ja zu Grenzen des kapitalistischen Wachstums, und einem leicht politisch-pathetischen aber dennoch entschiedenen Nein zu „Grenzen der Bedeutung von Museen, Kunst und Kultur“, einem Nein zu „Grenzen des Wissens“ und „Grenzen der Gestaltung von Welt“.
Wenn Museen ihren Gründungsauftrag neu lesen und sich als Orte der Begegnung mit Kultur neu bestimmen, können sie gerade in der heutigen pluralen Gesellschaft ein „Freiraum“ sein für Demokratie, Integration, Selbstbestimmung und vieles mehr. Als Orte des Dialogs, nicht der Rezeption, sollten sie Motive und Interessen von Besuchern in ihre Ausstellungspraxis integrieren und Teilhabe nicht nur als Event verstehen.
Dazu müssen auch neue Qualitätsstandards gefunden werden, die nicht nur aber eben auch marktwirtschaftlich sind. Die öffentliche Hand müsse die Finanzierung all dessen sicherstellen. Und sie werde es tun, wenn der gesellschaftspolitische Auftrag von Museen ernst genommen wird. Jahresetats können kontinuierlich mitwachsen, aber die Museen müssen selbst kommunizieren, dass das notwendig ist.
Insbesondere eine ernsthaft betriebene Digitalisierung sei ein Mittel gegen die vorgetragenen quantitativen Grenzen des Wachstums, weil der digitale Raum keine räumlichen Grenzen habe und neue Räume und Menschen erreichen könne. Aus diesem Grund brauchen Museen nachhaltige und sinnvolle digitale Strategien. Die Politik müsse dies auch als einen Auftrag der Museen erkennen und fördern. So schließt die Ministerin, dass es in Deutschland deswegen vielmehr einer Debatte darüber bedürfe, was denn das Digitale für diesen Auftrag besser mache als das Analoge.
Welche Bedeutung kommt einer digitalen Strategie zu?
Digitale Strategien können dazu beitragen, gesellschaftspolitische Aufgaben von Museen besser wahrzunehmen. So kreisten auch weitere Vorträge des Symposions und noch lebhafter schließlich die Abschlussdiskussion immer wieder um digitale Strategien, gegenwärtige gesellschaftspolitische Aufgaben von Kultureinrichtungen und die Frage, wie sich beide sinnvoll ergänzen lassen.
Wenn Museen zu Orten werden, wo sich Menschen offensiv und gestaltend über Religion, Europa, Stadt oder Lebensraum austauschen können, dann muss das vor Ort nicht zwangsläufig mit digitalem Beiwerk geschehen. Aber eine digitale Strategie, mit der die Museen in diejenigen virtuellen Räume gelangen, wo ihre Besucher schon sind, kann den Austausch beflügeln und dafür sorgen, dass Museen bestimmte Menschen überhaupt erst erreichen können, so dass sie ihren Weg ins Museum finden.
Und wenn Museen zu Orten werden, wo gesellschaftspolitische Diskussionen geführt werden und Demokratie geübt wird, dann kann dort auch das Digitale selbst zum Gegenstand kultureller und künstlerischer Debatten werden. Jeder Mensch, der sich noch verwundert daran stört, dass es Mitbürger und Mitbürgerinnen in diesem Land gibt, die nur digital erreicht werden können, kann dann auch und gerade das Museum dazu nutzen, um seine Fragen nach Möglichkeiten und Grenzen des Digitalen im Grundsatz zu besprechen und anderen Menschen näher zu bringen.
Wenn Museen zu Orten werden, wo Menschen hingehen, um in der Auseinandersetzung mit Kunst und Geschichte selbst assoziativ und kreativ tätig zu werden, können sie dieser Verantwortung nicht durch „digitales Edutainment“ (Bernhard Maaz) gerecht werden. Der Gründungsgeist der Museen war es, dem Volk seine Schätze zugänglich zu machen. Warum soll das nicht auch digital gehen? Das aber, und das kann eine mögliche Antwort auf die Frage des Symposions sein, könnte auch bedeuten, „dass ein Museum schließt und nur noch digital da ist“ (Wolfgang Ullrich).
Und wenn Museen zu Orten werden, wo das auf uns gekommene Erbe früherer Generationen bewahrt und erforscht wird, dann muss auch diese Notwendigkeit so weit wie möglich kommuniziert werden. Dies geschieht am Besten durch Öffnung und Teilhabe, so dass Kulturgeschichte heute und morgen entdeckt werden kann, „wie Käfer unter einem Stein“ (Barbara Welzel). Warum sollten dafür keine Bildungsetats zur Verfügung stehen? Und wenn Museen diesen Auftrag in Generationenzyklen und nicht in Ausstellungszyklen denken können und auch dürfen, was wäre dafür besser geeignet als eine digitale Strategie?
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