Man möchte meinen, dass der digitale Raum das Arbeiten für Studenten erleichtert. Schließlich können dank digitaler Portale z.B. alle Texte für Seminare und Vorlesungen hochgeladen und allerorts eingesehen werden. In verlässlicher Regelmäßigkeit kehrt nun der altbekannte Streit um das Urheberrecht zurück und wirft Fragen zum Thema freies digitales Publizieren – aber auch Rezipieren! – auf.
Ein bekanntes Szenario unter Studierenden: Bei der Recherche nach passender Literatur für die Hausarbeit werden alternativ zur Suche im Bibliothekskatalog die passenden Schlagworte gerne auch mal durch die bekannten Suchmaschinen im Netz gejagt – in der Hoffnung, einen Text zu finden, der einem den Gang zur Bibliothek erspart und auf dem Laptop daheim frei verfügbar ist. Auch das, was als nächstes passiert, ist vielen Studierenden bekannt: Der gewünschte Text ist über Google Books einsehbar, jedoch nur zum Teil oder auf anderen Plattformen verfügbar, muss aber eben bezahlt werden. Pech gehabt! Der Gang in die Bibliothek ist unvermeidbar und oft verläuft der Buchverleih ja auch problemlos – oft aber auch nicht, und es treten folgende Probleme auf:
Das Buch ist nicht da, Wartezeit bis zu mehreren Wochen.
Das Buch ist nicht da und muss kostenpflichtig per Fernleihe bestellt werden.
Das Buch ist da, aber es darf ausschließlich im Lesesaal gelesen werden.
Das Buch ist da, aber es dürfen keine Kopien gemacht werden.

Die komplizierte Ausleihe führt oftmals dazu, dass die eigentliche Arbeit am Text verschoben werden muss. Ohne entsprechende Quellen ist kein wissenschaftliches Arbeiten möglich. Das ist hinderlich, z.B. wenn Hausarbeiten fristgemäß abgegeben werden sollen. Im Zweifelsfall müssen sich Studenten bereits im Vorhinein überlegen, welche Bücher ausgeliehen werden sollen, um ihre Arbeitszeit richtig planen zu können.
Wir alle haben diese Hürden überwunden und so könnte man auch sagen: Das war schon immer so und irgendwie funktioniert es ja auch. Ja, tut es, aber es gibt inzwischen Lösungen, die allen das wissenschaftliche Arbeiten erleichtern würden. Mit „allen“ meine ich sowohl Rezipienten als auch Autoren. Ich möchte festhalten: Den Charme und das akademische Flair, den die Bonner Germanistik-Bibliothek noch zu meiner Studentenzeit versprühte, hat sie vor allem den alten muffigen Büchern zu verdanken, die zufrieden in hohen hölzernen Bücherregalen stapelweise stehen. Auch die zukünftigen Studenten sollen und werden in Bibliotheken sitzen. Die wissenschaftliche Arbeit an sich findet jedoch nicht mehr nur mit Hilfe des Bibliothekinventars statt, sondern findet heute auch digital statt. Wenn die benötigten Quellen digital abrufbar sind – das gilt für die Arbeit an Aufsätzen, Hausarbeiten genauso wie für Lehrmaterial für Vorlesungen und Seminare – ist der Arbeitsaufwand bedeutend geringer.
VG WORT will Autoren schützen
Bis vor kurzem hatten Dozentinnen der Universität Bonn die Möglichkeit, Lehrmaterial, darunter Primär- und Sekundärtexte, Handouts etc. auf der Plattform „eCampus“ hochzuladen. Klarer Vorteil für Studierende: Die Texte sind mobil einsehbar und können jederzeit gedruckt werden. Bis vor kurzem noch erschien jedoch diese Meldung bei eCampus:
Änderung im Umgang mit §52a UrhG
Ab 1.1.2017 ist die Nutzung von Textmaterialien im Rahmen der Lehre stark eingeschränkt: Lehrende und Forschende der Universität Bonn dürfen urheberrechtlich geschützte Texte nicht mehr genäß § 52a UrhG nutzen.
Durch das Rundschreiben des Rektorats sind Sie bereits darüber informiert worden, dass Sie zum 31.12 urheberrechtlich geschützte Texte auf eCampus löschen müssen. Dieser Vorgang lässt sich leider nicht automatisieren, daher muss jede/r Lehrende selbst die Dokumente in seinem Verantwortungsbereich prüfen und dann entsprechend den Vorgaben entscheiden, ob eine Löschung erfolgen muss oder nicht.
Quelle: https://ecampus.uni-bonn.de, Stand 1.12.2016
Das Urheberrechtsgesetz nach §52a, von dem hier die Rede ist, besagt, dass kleinere Textausschnitte „für den bestimmt abgegrenzten Kreis von Unterrichtsteilnehmern“ veröffentlicht werden können, was ja eCampus ermöglicht hat, da der Zugang über die Universitäts-E-Mail erfolgte.
Die VG WORT hat es sich aber zur Aufgabe gemacht, „eine angemessene Vergütung der Autoren und Verlage sicherzustellen und Geld von denjenigen zu kassieren, die das geistige Eigentum anderer nutzen.“ „Kassieren“ erscheint hier fast zynisch, aber dazu später. So weit so gut – die VG WORT schützt Autoren und Verlage davor, dass ihre Texte unkontrolliert durchs Netz fliegen, und befindet sich deswegen im Rechtsstreit mit der Bonner Universität.
Das Problem hierbei besteht nicht in der Gesetzgebung, sondern in den Vertragsregelungen, die VG WORT den Ländern vorgibt, um das Urheberrecht zu schützen. Nach Absatz 4 im §52 a sind die Verwertungsgesellschaften nämlich dazu aufgefordert, eine “angemessene Vergütung” auszuhandeln. Bisher haben die Länder eine Pauschale gezahlt und die Dozenten konnten die Werke unbesorgt hochladen. Nun sollen die Hochschulen im Rahmen einer Vertragserneuerung 0,8 Cent pro Seite zahlen.


Ein Testlauf an der Universität Osnabrück hat bereits gezeigt, was man beim Lesen dieser Zeilen befürchtet: Die Kosten für die Universität sind immens. Das Rektorat der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat sich daher Anfang Dezember entschieden, diesen Weg nicht mitzugehen, in der Hoffnung, dass sich auch die anderen Universitäten gegen VG WORT stellen und der Vertrag neu aufgesetzt wird – mit realistischen Bedingungen.
Open Access, Open Minded
Dieser Rechtsstreit zeigt, dass das Verständnis für freies Publizieren an falsche Vorstellungen geknüpft ist. Jetzt werden diejenigen, die den Zugang wirklich benötigen, also die Studierenden, eklatante Einschränkungen erleben. Auf der anderen Seite, und das sollte Autoren wissenschaftlicher Texte doch klar sein, erhöht der freie Zugang zu Literatur die eigene Sichtbarkeit und damit die Wahrnehmbarkeit, Zitationshäufigkeit und die Nutzung. Der freie Zugang zu wissenschaftlichen Texten hat enormen Einfluss auf die wissenschaftliche Diskussion.
Auch wenn es bei eCampus nicht um eine reine Open-Access-Plattform geht, so funktioniert sie doch in Teilen genauso. Freier Zugang zu Texten erleichtert Studenten das Lernen, allein das sollte Grund genug sein, über neue Publikationsmöglicheiten nachzudenken. Denn der einfache und freie Zugang zu Lehrmaterial muss gewährleistet werden. Die Forschung steht nun vor der Entscheidung, sich auf einen Rechtsstreit und im Ergebnis wohlmöglich preisgebundenen Deal mit der VG Wort einzulassen. Die Argumente, die ich bereits oben erwähnte, also die freie Publikation der Reichweite etc. willen, stehen für die Grundidee einer offenen Wissensgesellschaft. Das schließt mit ein, dass jeder Zugang zu Wissen erhält und eben nicht nur ein privilegierter Kreis. Der Fisch stinkt vom Kopf her – Wenn die obersten Reihen noch nicht verstanden haben, dass Forschung als offener Ort für alle dienen muss, wird es eben auch nicht alle erreichen können. Open Access bedeutet auch, den interdisziplinären und internationalen Austausch zu fördern, da Dokumente viel kostengünstiger publiziert und eben auch genutzt werden können. Die Uni Bonn hätte hier also auch die Chance, ein starkes Statement zu setzen.
Der Universität Bonn wurde vor wenigen Tagen ein Aufschub genehmigt, Texte können noch bis September 2017 hochgeladen werden. Bis dahin werden Kultusministerkonferenz und Hochschulrektorenkonferenz einen neuen Lösungsvorschlag erarbeiten und vorlegen.
Verfasserin dieses Beitrags
