Wandel. Veränderung. Transformation. Change … Wir stehen inmitten eines historischen Transformationsprozesses. Nicht selten nimmt der Wandel uns die Luft. Wie können wir den Veränderungsprozess ermöglichen? Woher nehmen wir Menschen die Kraft zur Veränderung? Und wie schaffen wir es, in den Organisationen, Mitarbeiter*innen für den Wandel zu gewinnen und mit ihnen diesen konstruktiv zu gestalten?
Ich bin sehr viel in Organisationen und unterstütze dort bei der digitalen Transformation. Ich verstehe meine Aufgabe dabei vor allem als Coach. Es geht weniger darum, zu beraten und konkrete Vorschläge zu machen, welche digitalen Innovationen für das Museum, das Archiv oder die öffentliche Verwaltung notwendig sind. Das auch. Im Kern geht es aber darum, Prozesse in Gang zu setzen, die Veränderung ermöglichen.
Häufig werden ich gefragt, wie man den Wandel mit den Mitarbeiter*innen schaffen kann. Eines der ersten Tools, die ich dann gerne und häufig verwende, ist das Kräftedreieck. Denn das Kräftedreieck beschreibt die persönlichen Dimensionen für Veränderungsprozesse und zeigt die Kräftepotenziale auf.
Wir brauchen erstens die Bereitschaft (das Wollen) zur Veränderung. Dies betrifft die Grundeinstellung, das sogenannte MindSet der Mitarbeiter*innen. Menschen mit einer eher strukturkonservativen Gesinnung tun sich mit Veränderungen schwer. Es liegt aber nicht nur an der Gesinnung, sondern auch an der aktuellen Lebenssituation und Erfahrung. Junge Mitarbeiter*innen sind häufig eher bereit, sich auf Neues einzulassen als Mitarbeiter*innen, die schon 10-15 Jahre in ihrem Job stehen. Sie bringen die Erfahrung mit, wie man die Aufgaben meistert. Und dies ja meistens auch sehr erfolgreich, so dass der Druck zu Veränderung gering und der Widerstand groß ist. Jeder Wille zur Veränderung heißt schließlich immer auch, sich selber und die eigenen Prozesse ein stückweit in Frage zu stellen.
Hat man aber erkannt, dass eine Veränderung notwendig oder wichtig wäre, so brauchen wir das Wissen (die Kompetenz), wie wir einen Prozess oder ein Angebot verändern können. An dieser Stelle geht es um Kenntnisse über Innovationsprozesse, von der Ideenentwicklung über deren Schärfung und Prototyping bis zur Implementierung von Innovationen. In der letzten Kolumne zu “#innovatio versus #inventio” habe ich bereits davon gesprochen, wie sehr dieses Wissen aufgrund der akademisch Ausbildung vieler Mitarbeiter*innen in den Gedächtnisinstitutionen fehlt. Da es hier um Methodenkompetenz geht, die jeder erlernen kann, ist Fortbildung, Fortbildung und nochmal Fortbildung das oberste Gebot.
Nachdem wir die Bereitschaft und das Wissen zur Veränderung haben, brauchen wir schließlich auch die Möglichkeit (das Dürfen & die Ressourcen) zur Veränderung. Und ich sage ganz deutlich, dass ich darin das größte Problem in der digitalen Transformation sehe. Ich erfahre in der täglichen Arbeit, dass viele bereit sind, neue Wege zu gehen und sich auch das Wissen dafür aneignen oder bestenfalls sogar Fortbildung bezahlt bekommen. Und wenn sie dann an den Arbeitsplatz zurück kommen, dann fehlt ihnen die Möglichkeit. Und das auf zwei Ebenen. Nicht selten fehlen ihnen die Ressourcen, und das sind hier vor allem Zeit und Geld. Hier beginnt schon die erste Veränderung in einer Organisation, denn es müssen neue Prioritäten gesetzt werden. Es geht nicht “zusätzlich on top”, sondern nur “ohne anderes”. Sind aber sogar die Ressourcen da, so scheitert ein Wandel nicht selten an der Führung oder spätestens an der Verwaltung. Die digitale Transformation geht einher mit Veränderungen in Organisationsabläufen. Kollaboratives Arbeiten erfordert ein neues Hierarchie- und Arbeitsverständnis im Haus, das vielen Direktor*innen fremd ist und zudem in der Tarifstruktur des öffentlichen Dienstes nicht abgebildet ist. Und spätestens bei der Implementierung agiler Managementprozesse mit externen Agenturen ist viel Fantasie notwendig, zusammen mit der Vergabestelle pragmatische Wege zu finden.
Die Bereitschaft, das Wissen und die Möglichkeit sind die grundlegenden Dimensionen, die jeder Veränderung Kraft verleihen oder diese verhindern. Und das gilt gleichermaßen für Veränderungsprozesse im persönlichen wie im beruflichen Bereich.
Wollen wir aber nun Veränderungsprozesse in Organisationen implementieren, so müssen wir noch einen Schritt weiter gehen und das Kräftedreieck in zwei Richtungen erweitern. Zum einen durch die beiden Dimensionen Vision und den Plan und zum anderen durch die Hindernisse, die entstehen, wenn eine der fünf Dimensionen fehlt. Wir erhalten damit eine Matrix, die wir wie einen Abacus für die Analyse von Hindernissen in Change- und Innovationsprozessen nutzen können.
Den Abacus kann man nun von zwei Seiten her verwenden: Wir fragen danach, was fehlt und können darauf schließen, wie das Team reagiert. Oder aber wir erkennen die Hindernisse und können darauf schließen, was fehlt.
Wenn die Vision in einer Organisation fehlt, dann entsteht im Team Verwirrung. Die Mitarbeiter*innen wissen nicht, in welche Richtung die Organisation strebt. Es entsteht Unsicherheit, nicht nur in Bezug auf das “Was zu tun ist”, sondern auch auf das “Warum tue ich es”. Eine Vision kann sehr unterschiedlich in einer Organisation implementiert werden. Mal ist es eine Führungsfigur, die/der eine Vision von dem hat, wo er/sie mit der Organisation hin möchte. Oder die Vision wird in gemeinsamen Prozessen mit der Leitungsrunde oder dem Team als Missionstatement entwickelt. Eines ist wichtig: Die Vision muss vor allem von der Führung deutlich kommuniziert, wiederholt bestätigt und offen gelebt werden.
Fehlt die Bereitschaft, so entsteht Widerstand im Team. Die Gründe hatten wir bereits angesprochen und sie können individuell sehr unterschiedlich sein. Will man diese Hindernisse aus dem Weg räumen, so hilft nur ein offenes Ohr für die Gründe, die hinter dem Widerstand liegen. Persönliche Mitarbeitergespräche bieten sich hierfür ebenso gut an, wie die Implementierung von Vertrauenspersonen und Prozesse zur Äußerung von Problemen.
Ohne Kompetenz und Wissen geht es nicht. Wo diese fehlen entsteht Angst. Und Angst kann einer der Gründe sein, Widerstand zu üben und keine Bereitschaft zur Veränderung zu zeigen. Aus den vielen Workshops und über sechs Jahren Erfahrung mit Changeprozessen in Organisationen würde ich vermuten, dass über 80% aller Widerstände in Teams nicht aus einer Grundhaltung gegen Veränderung resultiert, sondern aus der Angst, weil man sie sich nicht zutraut und die Kompetenz fehlt. Zur Verschärfung der Herausforderung kommt hinzu, dass die rasante Geschwindigkeit der digitalen Transformation dazu führt, dass die Kompetenz nicht mehr in der Führungsebene – und damit meine ich die Ebene Direktion und Abteilungsleitungen – zu finden ist, sondern bestenfalls im Team verteilt und von außen stets neu hinzu geholt werden muss. Und das geht an das Kernverständnis von Führung, zu dem ich in einer späteren Kolumne mich äußern werde. Führung in zukünftigen Organisationen wird sich nicht mehr vor allem durch Kompetenz in allen Sachfragen auszeichnen, sondern durch die Kompetenz, Hindernisse aus dem Weg zu räumen, damit sich das Wissen und die Fähigkeiten der Mitarbeiter*innen optimal entfalten können. Führung braucht neue Kompetenzen in postheroischem Management und die Mitarbeiter*innen neues Wissen in z.B. digitalem Kuratieren und Data Science für ihre Arbeit. Beides fehlt heute in den meisten Organisationen.
Fehlt die Möglichkeit zur Veränderung entsteht Frustration. Ich bin überzeugt, dass die meisten Mitarbeiter*innen in den Organisationen offen sind für Veränderung und für das Erlernen neuer Kompetenzen. Vielfach scheitern sie dann aber an ihrem Chef oder in der Verwaltung. Diesen Frust macht keiner lange mit. Zum eigenen Schutz gehen Mitarbeiter*innen in die innere Kündigung oder wechseln die Stelle, insofern es die Lebenssituation zulässt. Dieser Frust ist Gift für Veränderungsprozesse und führt zu trägen Teams, die nicht selbstverantwortlich Probleme anfassen und realisieren wollen. Auch hier ist Führung gefordert, dies richtig zu erkennen und Möglichkeitsfelder zu eröffnen. Auch wenn nicht alles sofort geht, es ist aber viel mehr möglich als heute möglich erscheint.
Und schließlich braucht es einen Plan. Die Vision bietet nur die Richtung, wohin der Stein fliegt. Wo er aber wie landet, dass sollte in einem Plan oder in einer Strategie festgelegt werden. Ohne einen solchen Plan riskiert man einen Fehlstart. Der Vorteil an einer digitalen Strategie ist, dass in ihr die operative Ebene festgelegt wird und damit Ziele und Maßnahmen definiert werden, die anschließend anhand von festgelegten Indikatoren auf ihren Erfolg hin evaluiert werden.
Nun habe ich aber in der ersten Kolumne gesagt, dass Strategiepapiere wenig bewegen. Um dies hier klarzustellen: Es braucht keine Papiere in der Schublade. Eine Organisation braucht aber vereinbarte Ziele und konkrete Maßnahmen, ansonsten kann die Vision leer und kraftlos. Damit aus dem Startegiepapier kein Papiertiger wird oder es zu starren Plänen verkommt, müssen die Ziele und Maßnahmen auch angepasst werden können. Dafür ist Digital Gardening Haltung und Programm.
Der Abacus kommt so einfach daher und ist für den täglichen Gebrauch doch ein sehr mächtiges Tool. Zum einen zeigt er die Bedingungen auf, die es für Change und Innovationen braucht. Zum anderen hilft es, zentrale Hindernissen in Organisationen zu erkennen und individuelle auf die Organisation zugeschnittene Strategien dagegen zu entwickeln.
Es mag Mitarbeiter*innen in Organisationen geben, die, aus welchen Gründen auch immer, für die digitale Transformation nicht gewonnen werden können. Ich schätze die Anzahl auf geringer als 10%. Für die vielen anderen Mitarbeiter*innen ist es den Aufwand Wert und eine Verpflichtung für die Führung, sie für den Wandel zu gewinnen, in dem wir bereits stecken und der noch auf uns zukommen wird.
Holger Simon