Die Künste sind verstummt. – Die Bühnen sind verweist, die Museumstüren geschlossen und die Orchester spielen nicht. Den Künsten fehlt das Publikum. Für eine moderne Gesellschaft ist das eine Katastrophe. Nicht nur, weil eine wunderbare Freizeitbeschäftigung fehlt. Das auch. Sondern, weil der Gesellschaft der Ort fehlt, an dem sie sich selbst reflektiert und beobachtet. Das tut sie in keinem anderen Bereich so sehr wie im Kunstsystem. Die Künste vermögen es, durch Wahrnehmung zu kommunizieren und komplexe Themen zu veranschaulichen. Wenn sie verstummen, dann verstummt die Quelle für Selbstkritik und es fehlen neue Perspektiven und Utopien. Beides brauchen wir gerade jetzt, in einer Zeit, in der wir Kontakte meiden sollen. In dieser Zeit brauchen wir die Künste. Doch wie? Was brauchen die Kulturbetriebe, um in Zeiten des Publikumverlustes ihren zentralen Aufgaben nachzukommen?
Die Künste reagieren. Sie spüren den Bedarf der Gesellschaft nach Auseinandersetzung mit und Erleben durch Kunst. Sie reagieren, aber sehr unterschiedlich. Drei Typen sind mir in den letzten Wochen besonders aufgefallen.
Es gibt eine große Gruppe in den Kulturbetrieben, die hektisch getrieben und nach dem Motto agieren “Jetzt zeigen wir, dass wir auch digital können”. Das führt dazu, dass jedes digitale Bild auf der Webseite als ein digitales Angebot gepriesen wird und jede 360 Gradansicht schon einen Museumsbesuch ermöglicht. Jörg Heiser, Professor für Kunsttheorie, Kunstkritik und Interdisziplinarität an der Universität der Künste in Berlin, kommentiert dies im Deutschlandfunk und pointiert, dass die meisten Angebote „verzweifelt, unausgegoren und sinnlos“ seien. Dieser Beobachtung kann ich nur zustimmen.
Online-Sammlungen sollen zum Schlendern durch die Sammlung animieren. Was man geboten bekommt ist aber nicht mehr als eine im Netz imitierte Verwaltungskarteikarte von Kunstwerken mit dem einzigen Unterschied, dass das Bild farbig ist. Viel größer ist es aber selten. Kein*e Dokumentar*in wäre auf die Idee gekommen und hätte im Hängeregister der Dokumentation zum Schlendern eingeladen. Im Digitalen tun es die Museen aber. Das Städel hatte seinerzeit immerhin noch den Anspruch erhoben, für die Metapher des digitalen Schlenderns eine digitale Form zu suchen. Sie sind gescheitert und bekamen unfaire Kritik aus der Fachcommunity, weil sie in ihre neue digitale Sammlung sehr viel Geld investiert hatten. Jetzt übernehmen die Kollegen*innen Land auf Land ab die Metapher des Schlenderns ohne jeden Anspruch und bieten aufgehübschte Verwaltungskarteikarten an. Dies ist nicht nur verzweifelt und sinnlos, sondern es zeigt sich, dass dem Digitalen bisher nicht derselbe notwendige Anspruch wie z.B. einer Ausstellung entgegengebracht wurde. In beiden Medien muss das ästhetische Erleben und die Erfahrung von Kunst im Vordergrund stehen.
Auch die vielen zur Zeit hoch gepriesenen virtuelle Rundgänge vom Metropolitan Museum über das Bode-Museum und den Louvre bis hin zum British Museum, können nicht überzeugen. Sie sind ein wichtiger Versuch und ein notwendiges Experiment auf der Suche nach digitalen Formen der Rezeption von Kunst. Das Ergebnis ist aber auch hier eindeutig: Virtuelle Rundgänge sind kein adäquater Ort für die Auseinandersetzung mit und Erfahrungen durch Kunst. Diese Erkenntnis wird in guter Regelmäßigkeit im Feuilleton wiederholt und die fehlende Aura des Kunstwerks als Argument gerne herangezogen. Dabei geht es hier gar nicht um die Aura, sondern um eine experimentelle Medienreflexion, die vielfach fehlt. Das Städel, welches bereits sehr früh die Möglichkeiten und Grenzen der digitalen Formate getestet hat, hatte sich aus diesen Gründen gegen eine virtuellen Rundgang entschieden. Wohlgemerkt nicht gegen das Medium, sondern gegen das Format. Statt dessen experimentierten sie mit einer anderen Anwendung. In einzelnen Räumen des Museums können die Besucher über eine VR-Brille einen Zeitsprung machen und die alte Hängung im Haus virtuell sehen. Dieser Vergleich vor Ort macht neugierig und erzeugt einen echten Mehrwert.
Mit dem Städel sind wir aber auch schon bei der zweiten Gruppe, nämlich bei denen, die ihr digitales Publikum bereits kennen. Die Berliner Philharmoniker öffnen ihre Digital Concert Hall für einen Monat kostenlos und haben so viele Nutzer wie nie zu vor. Klassische Musik kann das Publikum leicht ins Wohnzimmer streamen und – nicht selten – auf einem 4K Bildschirm und hochwertiger Musikanlage genießen. Das Städelmuseum fährt ein Tableau an etablierten digitalen Angebote auf. Sie zählen alleine in der ersten Woche 10 Mal mehr Neuanmeldungen für den Kurs “Kunstgeschichte online” und eine massive Nachfrage bei den beliebten Digitorials, der Zeitreise und dem Cafe Deutschland bis hin zum Tablet-Game Imagoras für Kinder. Beide Organisationen sind allen anderen um gut 10 Jahre voraus. Die kennen ihr digitales Publikum, welches nicht in die Philharmonie oder ins Museum kommt, sondern über einen digitalen Zugang erreicht wird.
Neben diesen großen Innovatoren machen zur Zeit einige Künstler*innen und kleine Häuser auf sich aufmerksam, indem sie mit ganz einfachen Formaten ihre Künste sehr erfolgreich im Internet anbieten und ein großes Publikum erreichen. Der Pianist Igor Levit führt seit dem Shutdown täglich um 19 Uhr live bei Twitter sein Hauskonzert auf und erreicht dabei an jedem Abend weit mehr als 10.000 Zuhörer*innen . Sein Hauskonzert im Schloss Bellevue wurden von über 100.000 Menschen live gehört. Die größten Konzerthallen in Hamburg und Berlin fassen mal eben 2.000 Personen. Es ist bemerkenswert, dass es vielfach die kleinen Häuser sind, die nun mit dem Experimentieren beginnen, mit Instagram-Walks ihre Sammlung im Internet zeigen oder zu digitale Vernissagen über Zoom einladen. Unter dem Hashtag #DigAMus kann man bei Twitter viele dieser Experimente beobachten. Auch sie gehören zu dieser zweiten Gruppe, die damit experimentieren, Kunst über die digitalen Medien an das Publikum zu führen. Nicht selten erreichen sie dabei weitaus höhere Zugriffszahlen, als sie je in ihrer Sammlung vor Ort erreichen oder ins Konzert einladen könnten.
Die große Mehrheit der Kultur ist aber verstummt. Die Künste sind erstarrt und die Künstler*innen fühlen sich amputiert, weil ihnen das Publikum fehlt. Das betrifft auch die Digitale Kunst. Man hätte erwarten können, dass die Museen der Modernen Kunst und schon gar das Digital Art Museum in Tokyo nun ihre digitalen Pforten öffnen und digitale Kunst anbieten. Auch sie bleiben geschlossen. Man findet wie bisher Videos, die zumindest eine Vorstellung davon vermitteln, was in Tokyo vor Ort durch digitale Kunst erfahren werden kann. Das lässt aufmerken. Vermutlich wollen auch die Museen mit Sammlungen zur Digitaler Kunst vor allem ein Publikum vor Ort ansprechen, anstatt digital im Netz Angebote an ein digitales Publikum zu richten. Jetzt wäre die Chance, ein Publikum im Netz zu erreichen, denn die Aufmerksamkeit im Internet war weltweit noch nie zu groß wie in diesen Zeiten.
Damit keine Missverständnisse entstehen. Ich will hier nicht ein digitales Publikum gegen ein analoges Publikum ausspielen. Ich halte die Trennung sogar für falsch, da jeder Besucher und jede Zuhörerin analog und digital Kunst rezipieren kann. Es ist also keine Frage eines entweder oder. Es ist eine Frage der Diversifizierung des Publikums. Aus der Besucherforschung wissen wir längst, dass das Publikum aus ganz unterschiedlichen Motivationen Kulturangebote wahrnimmt. Unter einem digitalen Publikum wollen wir hier in der Kolumne Besucher*innen und Zuhörer*innen verstehen, die nicht vor Ort sind, sondern das Angebot ausschließlich über und durch digitale Medien rezipieren.

Unsere Kulturbetriebe sind für die analoge Rezeption entstanden. Und das ist zumeist auch heute noch ihre Bestreben. Die digitalen Angebote dienten in den meisten Häusern bisher dazu, auf die Angebote vor Ort hinzuweisen und sie zu bewerben. Spätestens seit den letzten 3 Wochen wissen wir aber, dass es auch ein Publikum gibt, dass Kunst und Kultur digital erfahren will und wenig Interesse hat, mit Verwaltungskarteikarten in Online Sammlungen oder Pressebildern abgespeist zu werden.
Unsere Kulturbetriebe müssen umschwenken. Doch wie? Was müssen sie tun?
Die Kulturbetriebe in Deutschland haben jetzt eine große Chance, die sie nicht verspielen sollten. Viele von ihnen – lange nicht alle, aber sehr viel mehr als in anderen Ländern – sind in öffentlicher Trägerschaft. Sie müssen jetzt nicht um ihre Existenz fürchten. Das könnte sich nun zu einem Vorteil wenden, wenn er genutzt würde, für ein Umdenken in Richtung eines digitalen Publikums. Auch wenn sich hier die Anzeichen mehren, dass es gerade nicht die öffentlich bezahlten Kulturbetriebe sind, sondern die Häuser, die aus ihrer Not heraus innovative Wege gehen und experimentieren, so will ich mir die Hoffnung nicht nehmen lassen, dass mittelfristig alle Kulturbetriebe aus dieser Zeit lernen werden.
Wir können sehr genau sagen, was es für ein erfolgreiches Umdenken braucht. Es braucht dasselbe, was die Kulturbetriebe für die Anpassungen an den Wandel der Organsation durch die digitale Transformation brauchen. Es sind drei Aufgaben, die für die Kulturbetriebe höchste Priorität bekommen müssen:
- Infrastruktur & Hilfsmittel
- Arbeitskultur & Haltung
- Innovationsprozesse für digitale Angebote & Dienstleistungen
Infrastruktur & Hilfsmittel
Ohne eine ausreichende technische Infrastruktur geht es nicht. Für digitale Angebote im Haus muss WLAN kostenlos zur Verfügung stehen. Auch in geschützten Baudenkmalen findet sich zumeist ein Weg. Die Stromversorgung und moderne Heizungstechniken wurden auch vielerorts realisiert und für WLAN gibt es hervorragende Lösungen, die nur einen sehr geringen Eingriff in die Substanz erfordern. Darüber hinaus sollte sichergestellt werden, dass die Besucher die Möglichkeit haben, ihre Geräte mit ausreichend Strom zu versorgen. Da, wo Steckdosen sind, sind Menschen. Stormbars sind hervorragende Ergänzungen für jedes Museumscafe oder die Sitzmöglichkeiten in und vor den Sammlungsräumen.
Die Infrastruktur ist aber mehr als WLAN und Strombars. Es braucht eine stabile Server-Clientstruktur im Hause, damit die Mitarbeiter*innen auch digital arbeiten können. Dazu gehören aber auch Hilfsmittel wie Software und Tools, die professionelle Arbeit überhaupt erst möglich machen. Viele mussten in den letzten Wochen leidvoll erfahren, wie unflexibel ihre technische Infrastruktur ist, dass der Zugriff auf gemeinsame Dateien und die Nutzung von Programmen von zu Hause nicht mehr möglich war. Hier ist in den letzten Jahren schon viel geschehen, es gibt aber weiterhin einen noch sehr großen Nachholbedarf. Nicht selten hängen die Kulturbetriebe an einer kommunale Infrastruktur, die nur sehr schwerfällig auf dieBedarfe der Häuser reagiert. Es ist schon erstaunlich, was die Coroana-Krise in den letzten Wochen alles bewegt hat. Es zeigt sich, wie viel auf einmal möglich ist, was nur wenige Tage zuvor undenkbar war. Diese Flexibilität ist ein Teil der Innovationskraft, die die Kulturbetriebe dringend brauchen, wenn sie den digitalen Wandel meistern wollen.
In das Aufgabenfeld der Infrastruktur & Hilfsmittel fällt auch ein professionelles digitales Forschungsdatenmanagement. Das fehlt in nahezu allen Häusern. Bisher war es gut eingeübte Praxis, dass die Forschungsergebnisse z. B. in den Hängeregistern der Dokumentation gesammelt und in Museums-, Ausstellungskatalogen und Zeitschriften publiziert wurden. Dort konnten die Forschungsergebnisse von anderen Forscher*innen gefunden, gelesen und die Forschung fortgeführt werden. In den Kulturbetrieben entstehen immer mehr digitale Forschungsdaten, die aber zumeist auf den Arbeitsplatzrechnern der Mitarbeiter*innen und bestenfalls noch auf einem gemeinsamen Laufwerk gespeichert werden. Dort können sie aber nur sehr schwer wiedergefunden und weiter verwendet werden. Mit der Bundesinitiative einer Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) sollte sich dies in diesem Jahr noch ändern. Ziel ist es, eine Infrastruktur aufzubauen, die ein Datenmanagement nach den FAIR-Prinzipien (Findable, Accessible, Interoperable und Reusable) erlaben. Mit der Initiative NFDI4Culture wird eine Forschungsdateninfrastruktur für materielle und immaterielle Kulturgüter entstehen, in der Kultureinrichtungen zentrale Partner sind, weil sie die Daten für die Forschung zur Kultur liefern. Das Forschungsdatenmanagement ist eine zentrale Aufgabe, die zeitnah in den Kultureinrichtungen implementiert werden muss.
Arbeitskultur & Haltung
Eine digitale Infrastruktur mit den richtigen Tools ermöglicht es uns, Arbeitsprozesse digital abzubilden und mit mehreren Personen asynchron an komplexen Aufgaben zu arbeiten. Dies erfordert eine andere Arbeitskultur, die unter den Schlagworten kollaboratives Arbeiten und agiles Projektmanagement sehr verbreitet sind. Die Einführung dieser Arbeitskultur wird die sehr hierarchisch in Abteilungen organisierten Kulturbetriebe verändern. Die Herausbildung einer solchen Verwaltungsstruktur war aber eben das Erfolgsmodell einer modernen funktional differenzierten Gesellschaft, wie ich sie in der 4. Kolumne theoretisch beschrieben und die Folgen für die Museen in der 5. Kolumne aufgezeigt habe. Auch diese Organisationsform steht in einem Wandel und die neuen Arbeitskulturen sind erste Anzeichen davon.
Das kollaborative Arbeiten habe ich in der letzten Kolumne bereits ausführlich vorgestellt, und zum agilen Projektmanagement ist eine Kolumne geplant. Daher hier nur kurz. Die kollaborative Arbeit transformiert alle Arbeitsprozesse in digitale Formate. Damit dies gelingt, müssen die drei zentralen Fragen geklärt werden: Wie soll in der Organisation digital kommuniziert werden? Wie werden Aufgaben erledigt und Projekte organisiert? Wie werden wichtige Informationen und Wissen in einer Organisation archiviert? Das hat einschneidende Folgen. Zum Beispiel muss die interne Kommunikation von E-Mails auf Messenger-Systeme umgestellt werden, weil E-Mails Zeit kosten, schlecht informieren und ausgrenzen. Der Widerstand ist hier vor allem bei denen, die seit 25 Jahren mit E-Mails kommunizieren, sehr groß. Wer umgestellt hat, spürt den Vorteil für die interne Kommunikation per Messenger sofort. Weitere Erfahrungen, Hintergründe und Vorteile zum kollaborativen Arbeiten können hier nachgelesen werden.
Bei der Übertragung der Arbeitsprozesse in digitale Formate müssen wir zwei Typen unterschieden. Maintenanceprozesse beschreiben Arbeitsprozesse, die immer wieder auftreten. Die können z.B. in Kanbanstrukturen gut organisiert und mit unterschiedlichen Verantwortlichen transparent bearbeitet werden. Von diesen wiederkehrenden Arbeitsprozessen, von denen wir sehr viele in den Bereichen Dokumentation, Leihgaben oder Controlling finden, unterscheiden wir Innovationsprozesse. In diesen Prozessen werden Dienstleistungen, Produkte oder auch Arbeitsprozesse innoviert. In den Kultureinrichtungen sind die meisten Prozesse Innovationsprozesse. Eine neue Ausstellung muss entwickelt, besucherorientierte Vermittlungsangebote erstellt und fesselnde Geschichten fürs Marketing entwickelt werden. In solchen Prozessen hilft uns das agile Management, das ich in einer späteren Kolumne nochmal ausführlicher vorstellen werde. An dieser Stelle hier nur so viel. Agiles Management hat wenig zu tun mit der deutschen Übersetzung flexibel. Es geht zurück auf den Systemtheoretiker Talcot Parsons, der in den 60er Jahren die vier Paradigmen für selbstorganisierter Systeme formuliert (Adaption, Goal Attainment, Integration, Latency) und dies unter dem Akroynum AGIL veröffentlicht hat. Basierend auf dieser Theorie wurde in der Softwareentwicklung die Methode SCRUM entwickelt, in der sich Teams selber organisieren, um komplexe Aufgaben und Probleme zu lösen. Das agile Management überträgt diese Arbeitskultur auf Organisationen. Es hebt dabei nicht Hierarchien auf, es definiert sie aber in anderen Kontexten immer wieder neu.
Für viele Führungskräfte und Mitarbeiter*innen sind solche kollaborativen Arbeitskulturen und agile Innovationsprozesse neu. Sie sind aber notwendig. Und das nicht nur, damit Kulturbetriebe innovative Angebote für ein digitales Publikum entwickeln sollen, sondern auch damit die Anforderungen der digitalen Tranformation nicht zu Lasten der Mitarbeiter*innen erfolgen, sondern von diesen selber gestaltet werdem. Bei diesen Veränderungsprozessen kann uns die Metapher Digital Gardening weiter helfen. Sie ist nicht nur der Titel dieser Kolumne und des ersten Beitrags, sondern auch Haltung und Methode, wie wir die digitale Transformation erfolgreich bewältigen können. Was wollen wir unterstützen und fördern? Was müssen wir neu säen und pflanzen? Was müssen wir beschneiden und in Form bringen? Und was müssen wir umgraben und verändern? Warum tun wir dies und vor allem wie?

Innovationsprozesse für digitale Angebote & Dienstleistungen
Eine professionelle Infrastruktur und die genannten Arbeitskulturen sind das Fundament, auf dem die Mitarbeiter*innen in den Kulturbetrieben neue digitale Angebote und Dienstleistungen entwickeln können. Ohne das geht es nicht. Es gibt nur wenig Erfahrungen und gute Beispiele dafür, wie Kunst und Kultur ihr Publikum digital erreichen können. Es sind nur einige wenige, die schon vor 10 Jahren mit dem Anspruch gestartet sind, wirklich neue Angebote und Dienstleistungen zu entwickeln. Diese Beispiele kennen wir, aber sehr viele Anwendungen mehr müssen wir noch entwickeln. Und zwar neu erfinden. Innovieren. Die Notwendigkeit führt uns sehr schmerzhaft die aktuelle Zeit und das Verstummen der Künste vor Augen.
Wir betreten hier ein sehr weites Feld, von dem wir mal gerade ein paar Quadranten sehen und andere nur erahnen können. Denn wir stehen hier am Anfang der digitalen Transformation. Das ist das Beruhigende. Denn es ist noch nicht zu spät. Es wird aber Zeit, dass wir in diese Veränderung einsteigen. Zwei Herausforderungen stehen dabei für Kunst und Kultur im Vordergrund.
An erster Stelle ist ein Umdenken in Bezug auf das Publikum notwendig. Das Publikum ist längst in beiden Welten zu Hause und will Angebote für die analoge und die digitale Erfahrung. Eingedenk unserer Beobachtungen in den letzten Wochen liegt es auf der Hand, dass es notwendig ist, dass wir uns sehr intensiv der digitalen Vermittlung von Kunst und Kultur zuwenden. Wir brauchen digitale Plattformen, damit die Künste wieder sprechen und zu Erfahrungen und Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur anregen können. Wie diese aussehen können, das wissen wir noch nicht. Einige wenige mögen bereits eine Idee davon haben. Es sind aber bestenfalls Vor-Ideen, die noch geschärft werden und für die wir Prototypen entwickeln müssen. Hier werden wir in den nächsten Jahren viel experimentieren und Erfahrungen im engen Austausch und mit den Künstler*innen sammeln müssen. Wir werden ein Stückweit das Museum, das Theater oder auch das Orchester neu erfinden.
Damit uns diese gelingt, brauchen wir in den Kulturbetrieben eine sehr viel stärkere Innovationskultur. Wir wollen nicht Kunst verwalten und immer wieder dasselbe aufführen, sondern müssen neue Wege gehen und innovative Ansätze finden. Die Implementierung von agilen Innovationsprozessen ist dafür sehr hilfreich. Und wenn man die wenigen Innovatoren der digitalen Transformation beobachtet, dann haben sie genau das in den letzten Jahren gemacht: Sie haben Teams zusammengestellt, denen sie zugetraut haben, eine neue Idee zu realisieren. Die Führung hat den Mut gehabt, auch scheitern zu dürfen. Und dieses Scheitern war dann nicht selten die Quelle für die bessere Idee mit dem noch größeren Erfolg.
Nach Ostern werden die Kulturbetriebe vermutlich noch nicht ihre Türen öffnen. Sie werden noch stumm bleiben. Diese Zeit ist eine Chance für die Kulturbetriebe, um nach innen zu schauen und anhand der drei Aufgabenbereiche zu prüfen, was sie ändern und ergänzen müssen. Selten war der Moment so gut, mit dem Wandel in der Organisation zu beginnen, um dann auch über die Corona-Pandemie hinaus wieder sichtbar zu werden mit dem Ziel, Kunst und Kultur auch über digitale Wege wieder eine Stimme zu geben.

Holger Simon